Sonntagnachmittag zu Hause: Den Kindern ist langweilig, der Vater will Zeitung lesen. „Papa, spielst du mit uns?“ „Ja, gleich…“ Als die Kinder hartnäckig weiterbetteln, kommt dem Vater eine Idee. In seiner Zeitung war doch irgendwo eine große Weltkarte abgedruckt. Ach ja, hier. Er nimmt sie heraus und zerschneidet sie in viele kleine Puzzle-Teile. So! Das wird sie beschäftigen.
„Setzt ihr mal die Welt wieder zusammen. Wenn ihr damit fertig seid, spiele ich mit euch.“ Erleichtert lehnt er sich zurück. Jetzt wird er in Ruhe weiterlesen können.
„Papa, die Welt ist jetzt fertig!“ Schon zehn Minuten später wird er wieder gestört. Tatsächlich, das Puzzle ist erledigt. „Wie habt ihr das denn so schnell hinbekommen?“ „Na, ganz einfach: Auf der Rückseite von der Welt, da waren Menschen. Und als die Menschen in Ordnung waren, da war die Welt auch wieder in Ordnung.“
Ob diese Anekdote jemals so passiert ist? Ich weiß es nicht. Trotzdem ist sie wahr. Wahr in einem tieferen Sinn: Wenn die Menschen in Ordnung sind, dann ist die Welt auch in Ordnung. Oder übertragen auf den heutigen Volkstrauertag: Wenn da Frieden ist zwischen den Menschen, dann ist auch Frieden auf der Welt.
Was aber ist „Frieden zwischen Menschen“? Wann könnte man sagen „die Menschen sind jetzt in Ordnung“?
Natürlich wenn kein Krieg herrscht. Wenn Konflikte nicht mit Waffengewalt ausgetragen werden. Wenn sich meine kleine Tochter nur einmal im Monat vor der Sirene fürchtet und ich weiß, dass es nur ein Test ist. Aber reicht das?
Ich glaube, der Volkstrauertag erinnert uns daran, wie brüchig das oft ist, was wir Frieden nennen. Und dass die Welt als Ganze eben nicht „in Ordnung“ ist.
Weltweit betrachtet gibt es noch immer zahlreiche bewaffnete Konflikte, Kriege und Terrorakte. Aber auch in unserem Land ist das Zusammenleben nicht immer friedlich. Wie oft kommt es am Rande von Demonstrationen zu Handgreiflichkeiten und Ausschreitungen; zu „Zusammenstößen“, wie das dann gern beschönigend genannt wird.
Und selbst wenn das nicht so wäre: Wäre Frieden nicht noch so viel mehr? Gehört dazu nicht auch Gerechtigkeit? Eine faire Chance für alle im Leben. Eine bessere Verteilung der Güter auf dieser Erde. Ein Lebensstil, mit dem wir unseren Kindern eine lebenswerte Welt hinterlassen. Kommunikation, die auch mit Worten nicht verletzt.
Sie wissen selbst, dass ich diese Liste noch fortsetzen könnte und dass es da an manchem fehlt.
Ist Frieden also unerreichbar? Werden wir immer und immer wieder den Volkstrauertag begehen, ohne wirklich vorwärts zu kommen?
Vielleicht kann uns die Jahreslosung weiterhelfen. Jener Bibelvers, der uns gerade durch das Jahr 2021 begleitet: Jesus Christus spricht: Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist. (Lukas 6,36). Vielleicht liegt darin ja der Schlüssel zum Frieden. Vielleicht ist das seine Wurzel: Barmherzigkeit. Wenn wir uns die zu eigen machen, wenn die Barmherzigkeit eines unserer obersten Kriterien sein könnte, dann würde sich vieles verändern. Davon bin ich überzeugt. Es wäre nicht von heute auf Morgen alles „in Ordnung“. Aber es wäre ein Anfang. Eine Chance. Vielleicht unsere einzige Chance.
Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist. Um des Friedens willen, um unserer Welt willen, sollten wir uns das zu Herzen nehmen. Als Auftrag. Als Mahnung, die uns der Volkstrauertag ins Gedächtnis schreibt.
Und auch als Versprechen: Gott hat die Barmherzigkeit in diese Welt hineingelegt. Die Chance auf Frieden ist eine echte Chance.